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„Die Szene wächst“

Bertram Weisshaar ist teilAuto-Nutzer und Spaziergangexperte. In lauschigen Parks und Gärten ist er jedoch seltener unterwegs. Stattdessen organisiert er geführte Touren auf Müllkippen oder in Braunkohlegruben. Wir sind mit dem Erfinder der Talk Walks im Gespräch über Verkehrskultur und neue internationale Spaziergang-Trends.
In diesem Jahr feiert Bertram Weisshaar sein 20-jähriges Dienstjubiläum als Promenadologe, also Spaziergangforscher. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, wie er zu seinem Beruf gekommen ist, ob er der einzige ist, der in Deutschland hauptberuflich Spaziergänge organisiert und was es mit seinem aktuellen Projekt, dem „Hipster Walk“ auf sich hat.

Wie bist du zur Spaziergangforschung gekommen?

Ich habe Landschaftsplanung in Kassel studiert und da gab es das Seminar „Spaziergangwissenschaft“, das mich sehr beeindruckt hat. Wir unternahmen da zum Beispiel einen Autofahrerspaziergang, bei dem wir Windschutzscheiben vor uns hertrugen, um die eingeschränkte Perspektive eines Autofahrers zu untersuchen. Noch als Student habe ich auch einen Spaziergang in einer Braunkohlegrube bei Dessau inszeniert. Eigentlich sollte es eine einmalige Sache werden, aber am Ende fand er über hundert Mal statt. Und so ging es dann weiter.[caption id="attachment_1375" align="alignnone" width="1200"]Die Sicht der Autofahrer hinterfragen: Windschutzscheibenspaziergang in Kassel. Foto: Bertram Weisshaar Die Sicht der Autofahrer hinterfragen: Windschutzscheibenspaziergang in Kassel. Foto: Bertram Weisshaar[/caption]

Nur damit wir von derselben Sache reden, was verstehst du unter einem Spaziergang?

Ein Spaziergang kann Verschiedenes sein. Er kann Erholung und Entspannung bedeuten, aber er kann auch ein politischer Spaziergang sein oder ein Beitrag zur Bürgerbeteiligung. Für mich ist er ein tolles Medium, Diskussionen an konkrete Orte zu bringen, zum Beispiel, wenn es um Landschaftsplanungsprozesse geht. Vor Ort kommt es meist zu ganz anderen Gesprächen als in einem Rathaussaal. 

Du hast 2011 deine „Spaziergang-Agentur“, das „Atelier Latent“, gegründet. Was macht diese Agentur?

Überwiegend gestalte ich Spaziergänge und Spaziergangkonzepte. Meist im Kontext von Stadtentwicklungs- oder Kunstprojekten. Einerseits moderiere ich Gruppenspaziergänge, die live und dialogisch stattfinden. Andererseits erstelle ich auch Audio-Spaziergänge, so genannte Talk Walks, die man individuell mit Kopfhörern ablaufen kann.

Bist du mit solchen Projekten allein auf weiter Flur oder gibt es auch andere Spaziergangexperten?

Die Szene ist noch überschaubar, aber sie wächst. Im vergangenen Jahr wurde in Kassel ein Symposium zu Lucius Burckhardt, dem Erfinder der Spaziergangwissenschaft, veranstaltet, zu dem 150 Leute kamen. In Basel fand 2014 zudem das „Trinationale Festival des Spazierengehens“ statt. In Großbritannien ist eine große Szene namens „Walking Artist Network“ aktiv. Und immer am ersten Maiwochenende finden weltweit die so genannten „Jane's Walks“ statt, bei denen jeder, der möchte, eine Tour durch sein Viertel anbieten kann – zuletzt in 134 Städten auf sechs Kontinenten.

Was ist dein aktuelles Projekt?

In Leipzig findet gerade das B_Tours Festival für kreative, urbane Touren statt. Dafür entstand zusammen mit den Autoren der Leipziger Lesebühnen „Schkeuditzer Kreuz“ und „West“ der „Hipster Walk“, ein literarischer Spaziergang, der den Hypezig-Mythos so ein bisschen aufs Korn nimmt. Er startet an der Hochschule für Grafik und Buchkunst und führt dann in den Leipziger Westen. Am 10. Juli wird er einmal als Live-Spaziergang durchgeführt, danach gibt es ihn als Audio Walk auf der Talk-Walks-Seite.

Du bist seit Jahren Carsharing-Kunde. Wie passen Carsharing und Spazierengehen zusammen?

Gut. Ich ärgere mich seit Jahren über mit Stehzeugen vollgepfropfte Straßen. Wenn die Theorie aufgeht, dass man mit geteilten Autos weniger Stehzeuge braucht, um dieselbe Mobilität abzubilden, dann würden die Städte einfach viel schöner werden.

Das finden wir auch.Danke für das Gespräch!

 Links:B_Tours FestivalTalk Walks

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