Andreas Knie: Wir wollten mal mehr

Carsharing: In der Nische träge geworden. Dabei wollten wir doch mal mehr!
Kaum zu glauben, aber wahr: teilAuto ist schon 30 Jahre alt! Ich gratuliere herzlichst. Und auf den ersten Blick ist alles paletti beim Carsharing. Der Bundesverband bcs postet unentwegt neue Erfolgsgeschichten, in immer mehr Städten gibt es nun Angebote der geteilten Autonutzung. Die Zahl der eingeschriebenen Kundinnen und Kunden steigt, ebenso wie die verfügbare Flotte. Im Jahr 2025 stehen knapp 50.000 Fahrzeuge in ganz Deutschland bereit. Zur Erinnerung: Bundesweit gibt es rund 50 Millionen Pkw und mehr als 70 Millionen Fahrzeuge insgesamt. Die Carsharing-Branche ist immer noch in der Nische stecken geblieben – obwohl sie im Koalitionsvertrag der ersten rot-grünen Bundesregierung 1998 schon prominent als die verkehrspolitische Innovation beschrieben wurde. Sogar die großen Unternehmen wie die Deutsche Bahn, BMW, Daimler und Volkswagen hatten sich dieser Dienstleistungen angenommen. Es war viel Prominenz unterwegs. Aber heute? Ist nix mehr da.
Schaut man sich die einzelnen Unternehmen heute genauer an, dann geht’s denen aber wunderbar. Und teilAuto steht besonders gut da. Die Mobility Center GmbH betreibt eine Flotte von mehr als 2.000 Autos und ist damit unumstrittener Platzhirsch in Mitteldeutschland. Das Unternehmen macht über 30 Millionen Euro Umsatz und hat mehr als 88.000 Kundinnen und Kunden. Respekt.
Carsharing im Kleinen funktioniert also offenkundig gut. Carsharing war aber nie nur ein Geschäft, es war und ist auch immer ein politisches Projekt. Denn obwohl es in der Nische funktioniert, ist es dabei bequem, fett, lahm und träge geworden. Schön für die Eigentümer und die Bestandskunden, aber für einen gesellschaftlichen Wandel reicht das nicht. Als echte Alternative zum privaten Autobesitz hat sich das Carsharing immer noch nicht durchgesetzt. Es wird viel zitiert und immer mal wieder herbeigewünscht, aber die nackten Zahlen beweisen: Es ist und bleibt ein Randphänomen. Die neue Erhebung „Mobilität in Deutschland“ kommt im März 2025 zu dem Ergebnis, dass die Carsharing-Nutzung zwar im Vergleich zur letzten Erhebung im Jahr 2017 an Bedeutung gewonnen hat, aber trotz großer Hoffnung immer noch ein zartes Pflänzchen geblieben ist. Rund 1 Prozent aller Wege werden von Sharing-Diensten absolviert und dabei sind die E-Scooter bereits mitgerechnet.
Carsharing eignet sich nur für die immer gleiche Klientel: nämlich für die, die umweltbewusst sind, über ein gutes Einkommen und die „richtige“ Einstellung verfügen. Also Menschen, die den Rubikon bereits überschritten haben oder, salopp gesagt, schon katholisch sind. Für alle anderen ist und bleibt Carsharing ein Angebot mit sieben Siegeln – schwergängig, kompliziert und viel zu teuer. In seiner jetzigen Form ist es schlicht nicht massentauglich.
Carsharing hat es als Angebot gegenüber dem privaten Pkw aber auch nicht leicht. Während der Besitz von privaten Fahrzeugen seit den 1930er Jahren systematisch gefördert und privilegiert wird, müssen Carsharing-Unternehmen für die Platzierung ihrer Fahrzeuge im öffentlichen Raum viel Geld bezahlen. Auf privaten Stellflächen sowieso, aber auch im öffentlichen Raum. In Berlin beispielsweise kostet eine Anwohnerplakette für das private Fahrzeug etwas mehr als 12 Euro pro Jahr; Carsharing-Unternehmen zahlen dagegen mehr als 1.200 Euro. Aber dennoch bleibt es politisch still. Der Bundesverband Carsharing macht nicht gerade den Eindruck einer politischen Rebellenvereinigung. Dabei gibt es ein Carsharing-Gesetz, das ohne den Verband und nur durch die Initiative von wenigen in Gang gesetzt wurde und bis heute in seinen Potentialen völlig ungenutzt vor sich hinschlummert. Der Verband ist stets bemüht. Brav werden die Vorteile des Carsharings dokumentiert, die verkehrs- und umweltpolitischen Entlastungen des Autoteilens immer wieder betont. Warum sollte man auch mehr tun? Im Unterschied zu 1998 wird Carsharing im aktuellen Koalitionsvertrag nicht einmal erwähnt. Warum auch? Die Nische ist ja mehr als auskömmlich.
Dabei wäre heute mehr möglich als früher. Denn der Visionsüberschuss des privaten Autos ist längst verbraucht, die Säkularisierung weit fortgeschritten, die destruktiven Wirkungen der Massenmotorisierung für Natur und soziales Leben treten immer stärker hervor. Und damit wird das, was jahrzehntelang als Normal galt, plötzlich begründungspflichtig. Und damit verliert das private Auto seinen wichtigsten Schutz: die Selbstverständlichkeit, die bisher alle Gegner und Kritiker zu Ideologen stempeln konnte.
Es wäre also an der Zeit, wieder mehr zu wollen. Sharing muss als das Normalste der Welt erscheinen und das Privatauto dorthin geschoben werden, wo es herkommt: in die private Garage. Aber das kostet natürlich Mühe und die fällt es natürlich noch schwerer zu überwinden, wo es doch gerade so schön ist.
[Porträtfoto: Bernhard Ludewig]
Kommentare
Kommentar von Peter Zdansky |
@ Patrick: Ein erheblicher Bevölkerungsteil unterzeichnet ohne Berührungsängste reihenweise Kredit- bzw. Kaufverträge f. Konsumfirlefanz - und eine Kaution v. exorbitanten 100 € u. ein Monatsgrundpreis v. horrenden 9 € sollen abschreckend sein? Ich bitte Sie! Ein Hemmschuh f. manche i. Fall d. Mobility Center GmbH: Alles ist digital abzuwickeln. - Im übrigen: Es gibt regelrechte Carsharinghasser.
Kommentar von Patrick |
Ich kann dem Kommentar in großen Teilen beipflichten: Die Hemmschwelle für Neukunden ist groß. Leute, die sich noch nie ans Carsharing getraut haben, es aber ausprobieren wollen, erschrecken zunächst bei den Kosten/Bürokratie, die im ersten Moment auf einen zukommen: Kaution und Bindung an ein Abomodell. Vielleicht wäre eine sinnvolle Strategie eine kostenfreie zeitlichbegrenzte (2h?) Testphase.
Kommentar von Peter Zdansky |
Knie schreibt, Carsharing eigne sich ausschließlich für Menschen, die "über ein gutes Einkommen...verfügen". Bei wem hat der Herr Professor Mathematikunterricht genossen? Ich würde diesen Lehrer verklagen! Zu einer solch mühelos widerlegbaren Feststellung gelangt nur, wer Anschaffungs- und Unterhaltungskosten eines eigenen Fahrzeugs komplett ausklammert und lediglich Spritkosten berücksichtigt.
Kommentar von Matthias |
Ist der Beitrag ein Kommentar eines resignierten alten Menschen?
In meinen 15 Jahren bei teilAuto ist die Verfügbarkeit deutlich besser geworden, Probleme habe ich fast nie. Der Aussage man müsse ein Besserverdiener sein um CarSharing zu nutzen muss ich deutlich widersprechen. Ich habe mich gerade wegen der geringen vorhersehbaren Kosten diesen Weg gewählt.
Aber ja, die Gesellschaft muss..400 Z
Kommentar von Rudi Wonsack |
Ich bin seit 6 JahrenbeiTA. Meine Erfahrungen sind grundsätzlich positiv. Ein Fahrzeug nutze ich ungefähr 1× im Monat. Davon 2x um eine Woche außerhalb zu machen. Für die durchschnittlichen Jahreskosten bei TA-Nutzung könnte ich kein eigenes Fahrzeug halten.
Als Leipziger ist das auch recht komfortabel. Es gibt ein recht dichtes Stationnetz.
Schön wäre, wenn alle Nutzer auf Sauberkeit achten
Kommentar von T&U&F |
...wir nutzen teilauto seit ca. 7 Jahren u. sind ziemlich zufrieden (so 7 - 8 von 10), und ja, wir gehören wohl zu denen, die den "Rubikon" überschritten haben (ohne katholisch zu sein).
Unklar ist uns, wieso einige Kommentatoren gleich wieder jammern, klagen oder den Prof. attackieren, diskreditieren müssen... konstruktive Kritik ist hilfreicher! sharing ist sinnvoll, muß halt gestaltet werden...
Kommentar von Christian |
Wo er Recht hat hat er Recht. TA ist, das ist auch meine Wahrnehmung, bequem geworden. Ich nehme keinerlei Bemühungen war aus der Nische heraus zu kommen. Ich nehme kein Einmischung in die (lokal-) politische Diskussion zum Verkehr der näheren und weiteren Zukunft wahr. TA macht einen guten Job, aber leider auch nicht mehr...
Ziel muss stationsunabhängiges CS sein.
Kommentar von Karsten Fink |
Carsharing ist nicht nur für "Besserverdiener" interessant! Wir sind seit vielen Jahren bei TeilAuto und anfangs habe ich die Kosten gegengerechnet zu den tatsächlichen Kosten des eigenen Pkw aus den Jahren zuvor (bei Kauf 7 Jahre alt, noch 11 weitere Jahre gefahren). Wider Erwarten haben wir festgestellt, dass wir ca. 1/3 weniger zahlen als zuvor (bei etwa gleich geringer Fahrleistung).
Kommentar von Peter Zdansky |
Ist Knie ein seriöser, weitgehend unabhängiger Wissenschaftler? Aber klar doch: Knie ist (was der Vorspann verschweigt) Chief Scientific Officer der Choice AG - die u. a. für die Jaguar Land Rover Ltd. tätig ist. Ob der große Visionär in einem Jaguar-SUV oder aber in einem Jaguar-Cabriolet durch Deutschland düst...? - "...sie tranken heimlich Wein/Und predigten öffentlich Wasser." (Heinrich Heine)
Kommentar von Michael S |
Das Problem ist, dass der private PKW als Allrounder angesehen wird.
Carsharing funktioniert dort erst so richtig gut, wo man auch einen guten ÖPNV und andere Verleihsysteme hat, wie z.B. in Dresden.
Die falsche Verkehrspolitik kann auch nicht von einigen „Willigen“ allein korrigiert werden. Warum müssen sich die Leute eigentlich nicht rechtfertigen, die ihr Auto nur für 2 x 3km am Tag nutzen?
Kommentar von Thomas |
Markige Worte von Prof. Knie ("Visionsüberschuss"); meiner Wahrnehmung nach etwas fernab der Realität. Der private PKW ist so normal wie eh und jeh. Teilauto-Nutzerinnen sind keine seltsamen Spinner mehr. Covid hat dem "Safe space" Privat-PKW Vortrieb gegeben. 2/3 fahren (teils lächerliche Distanzen) mit dem Auto zur Arbeit. Carsharing kann nicht die Versäumnisse der Verkehrspolitik beheben.
Kommentar von Jo |
Der Herr Professor kann ja leicht reden von Carsharing-Unternehmen, denen es ja so gut geht. Die Corona-Krise war m. E. für manche Carsharing-Unternehmen existenzgefährdend. Professoren haben in dieser Zeit sicher weiterhin Ihr Gehalt (weitestgehend durch den Steuerzahler finanziert) erhalten.
Kommentar von Christoph Steinke |
Auweia, ich bin seit vielen Jahren ohne eigenem PKW und Kunde bei Teilauto. Aber wenn durch meine Einnahmen der Wunsch vorangetrieben werden soll, dass privater Pkw-Besitz seine Legitimation verlieren sollte und explizit begründet werden sollte, dann hat mich Teilauto längste Zeit als Kunde gehabt. Teilauto hat viele Nachteile und passt nur auf wenige Nutzungsprofile in Sachen Mobilität.
Kommentar von Stephan |
Ich nehme selbst wahr, dass es zunehmend Personen in Jena gibt die sich bewusst sich für Teilauto entscheiden und sich mehrere Autos leisten könnten. Diese entscheiden sich nicht rein aus finanziellen Gründen dafür sondern aus Bequemlichkeit (kein Parkplatz, keine Wartung, keine Gebühren).
Aber man kann zustimmen, es ist weiterhin eine Nische. Zwar 600 mehr Nutzer in Jena viel aber halt nicht 6000
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